11 Städte, 12 Stempelposten, 10 Ruderinnen, 2 Steuerfrauen, 3 Helfer, 210km, 18 Strecken, unter 100 Brücken, mehr als 60 Blasen und kein Sitzfleisch
Alles fing ganz harmlos mit einer Email von Marjan Kraak im August letzten Jahres an. Ob ich (Christine Tanner) denn Lust hätte an einem Rudermarathon über 210km in Friesland in einem Team von 12 Leuten Anfang Juni mitzumachen? Natürlich fühlte ich mich als Ruderküken von grade mal 2 Jahren sehr geehrt gefragt worden zu sein, Regatta war auch keine an dem Wochenende, es hörte sich sehr interessant an und 210/12=17.5km is‘ ja nicht so schlimm – jep ich bin dabei. Eine Teambesprechung später dämmerte mir allmählich auf was ich mich da eingelassen hatte: 2x+ C-Gig gibt durchschnittlich 42km für jede Ruderin und 105km pro Steuerfrau, alle andern im Team haben Lichtjahre mehr Rudererfahrung und sind angefressene Kampfruderinnen – schluck – ich hoffe Marjan weiss was sie tut. Aber sie ist ein wahrer Engel, unermüdlich gibt sie mir Tipps im gemeinsamen wöchentlichen Training wie ich meine Kraft zum Vorwärtskommen statt winken, fischen oder Boot schaukeln einsetzen kann. Und das neben all Ihren vielen Vorbereitung wie Streckenbesprechungen, Brückenübungen organisieren, Reisepläne aufsetzen, Boot aufpeppeln, Utensilien zusammenkramen, und Einsatzpläne schmieden. Ende Mai ist es soweit – auf nach Friesland via Auto, Zug und Flugzeug zu unserem Basislager, einem gemütlichen Bauernhaus das Platz für’s ganze Team bietet. Bei der abendlichen Ankunft, nach endlosen Stau seit dem Flughafen Düsseldorf und schnellen Einkauf, werden wir (Michelle Lesh, Marlis Zwinggi, Simone Wick, Sonja Heule, Christine) freudig von einer bunten Mischung aus Hühnern und Gänsen begrüsst. Kurz darauf kommen auch schon Kassiem Jakob und Ulli Lohmann, die den Boottransport übernommen haben. Wir kochen Pasta, verteilen Betten, essen gemütlich, und haben hundert Fragen an Marjan die friesischen Kuchen ihrer Eltern mitgebracht hat. Am nächste Tag trifft der Rest der Mannschaft ein (Emma Wright, Rachel van Sluijs, Sabine Damer, Suzanne Rapetti-Hunsicker, Inge and Beat Schwerzmann) und alle üben das Steuern, Abliegen, Ruder einziehen in einem nahen engen Kanal mit 90 Grad Kurve vor einer sehr tiefen Brücken. Schlimmer wird’s nicht, aber dunkler. Wir fahren zum Tag/Nachteam Wechselposten und schauen uns einige schwierige Stellen an – nichts wird dem Zufall überlassen. Es ist Freitag und um 20 Uhr geht’s los. Vorfreude und Beklemmnis herrscht. Karten werden studiert, Batterien geladen, tracking Apps eingerichtet, Pasta gekocht, Nägel in Schweizer Farben lackiert, Brote geschmiert. Die Steuerfrauen und das Nachtteam versucht vorzuschlafen. Marjan, Marlis, Suzanne, Kassiem und Ulli machen unser Boot, die Glatt, startklar. Schwimmwesten für den Auftrieb montieren, Abdeckungen gegen die Wellen anbringen, SOS-Box bestücken und alles gut fixieren. Doch die beiden Prüfer akzeptieren die Schwimmwesten nicht – noch nie gesehen! Komisch, bei den letzten 3 Einsätzen war’s OK!? Kassiem und Ulli haben die rettende Idee: 4 Kinderschwimmreifen aus dem Baumarkt. Untergehen werden wir nicht! Endlich geht’s los. Wir fahren alle zum Start wo Volksfeststimmung und Dichtestress auf dem Wasser herrscht. Sonja (stf), Simone (Schlag) und Ulli (Bug) schlängeln sich gekonnt in die vordersten Reihen, um den gestaffelten Start als Nummer 19 nicht zu verpassen. Wir verabschieden sie mit ‚Hopp Schwiiz‘ und sie lassen’s krachen. Am Wechselposten sind sie nach einem 1km längeren Sprint als geplant vollkommen ausgepumpt aber glücklich den angepeilten Schnitt von 3:00 (C-Gig!) deutlich unterboten zu haben. Das Tagteam fährt zurück zum Schlafen, während es beim Rudern mit Sonja, Suzanne und Marjan für 11km nach Dokkum weitergeht. Um etwa 4 Uhr wird das Tagteam aus dem unruhigen Schlaf mittels Anruf geweckt. Ein schnelles Anziehen und kurzes Frühstück, und wir fahren auf dem geübten Weg zum Wechselposten in Balk. Viel ist passiert in der Zwischenzeit. Alle vom Nachtteam sind müde. Es war sehr anstrengend, aber auch schön durch die Nacht zu gleiten. Marlis und Michelle erzählen vom Sonnenuntergang und -aufgang den sie erlebten. Und vom Kuckuck den sie schon von Weitem hörten und zu dem sie immer näher kamen bis sie tatsächlich an seinem Baum vorbeiruderten. Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit sodass man durchaus etwas sah, wenn einem nicht gerade eine andere Mannschaften mit viel zu hellem Suchlicht blendete. Aber unsere Steuerfrauen haben klasse navigiert. Kein Verfahren, keine Brücke übersehen, alles bestens im Griff dank konstanter Aufmerksamkeit. Einmal wäre fast die Stempelbox über Bord gegangen. Doch Sonja griff sofort reflexartig nach ihr und holte sie zurück bevor noch irgendjemand aufschreien konnte. Alles dageblieben, nichts verlässt das Boot! Und neben all dem wurden noch die Kilometer runtergezählt, die Mannschaft angefeuert, Splits kommuniziert und Ziele für die Teilstücke gesetzt. Was für ein Multitasking! Das bisher alles so reibungslos ging ist auch der Verdienst vom Landteam, d.h. Kassiem. Super vorbereitet, wusste er auch in stockfinsterer Gegend immer genau wo Ruderinnen und Boot waren. Dabei noch im Dunkeln fahren, 2 Natels bedienen, effizient Boote heranziehen, Kleider tragen und Fragen beantworten. Beat sollte nun eigentlich Kassiem ablösen, doch Kassiem will die Tagstrecken erleben und bleibt als Copilot dabei – Schlaf ist überbewertet! Schluss mit Erzählen – da kommen Sonja, Sabine und Suzanne, die auf Ulli (stf), Inge und Rachel wechseln. Suzanne ist heilfroh ihre letzte Strecke bewältigt zu haben, sie kann schon seit 3 Etappen nicht mehr sitzen! Davon hat man jedoch auf dem wellige Slotermeer nichts gemerkt. Sonja ist stark beeindruckt wie die Beiden durch die Wellen gepowered sind während die anderen Boote am Wasserpumpen waren. Nachdem sie sich kurz erholt haben fährt das Nachteam zurück um etwas Schlaf zu erwischen. Nun ist auch meine Zeit gekommen: 11km mit Sonja und Emma über zwei Seen mit Gegenwind! Wellen schwappen über Emma’s Rücken und meine Füsse. Alles ist nass. Sonja pumpt, steuert und gibt gleichzeitig Kommandos. Ich bin froh die Schlagzahluhr nicht zu sehen, kann nicht mehr sitzen, bekomme Blasen und wähne mich auf den letzten 2 km als Sonja uns mit „halbe Strecke geschafft“ anfeuert. Weiterrudern, einfach weiterrudern... Irgendwann fangen wir an zu zählen um das Gefühl zu bekommen das wir vorwärts kommen. Endlich der erlösende Klang der Kuhglocke, der den Wechsel markiert. Rachel, Simone und Ulli übernehmen in Stavoren für 13km. Sonja versucht im Auto endlich etwas zu schlafen, was bei dem ständigen Wechseln sehr schwierig ist. Nach 11km am Stempelposten in Hindelopen sehen wir die Ruderinnen wieder. Oh mein Gott, es geht ihnen gar nicht gut. Ulli kann nicht mehr sitzen und wirft uns verzweifelt ihr Sitzkissen entgegen. In den engen und seichten Kanälen wähnen sie sich als mega langsam, doch sie haben auf das vorherige Boot aufgeholt! Weiter geht’s mit Rachel, Inge und Emma für 11km nach Parrega mit tiefer Brücke und Stempelposten in Workum. Die Kanäle sind eng, das Wasser seicht. Nach jedem Abbremsen wegen Brücken, Kurven oder Pflanzen ist das Boot unheimlich schwer wieder in Schwung zu bekommen. Es wird heiss. Am Ende sind beide sichtlich fertig und haben Krämpfe beim Aussteigen. Simone und ich gesellen uns nun zu Rachel für 11km nach Hichtum. Sitzen geht wieder dank Ulli’s Kissen und das Boot bewegt sich merklich dank flachen Wasser und Mitwind – hurray, so macht powern Spass! Und dabei immer noch auf Technik fokussieren. Noch 2km, es wird Zeit für den Endspurt. Doch lautes Rufen vom Ufer stoppt uns. Zur Überraschung aller sind wir schon da! Nichts wie schnellen Wechsel auf Sonja, Inge und Ulli. Ups, Sonja wollte doch noch auf die Toilette – das muss nun für 3 Etappen warten! Die Strecke nach Harlingen war schon lang, jetzt sind es gar 16.5km und Inge hatte schon Krämpfe und Ulli kann nicht sitzen. Ob das gut geht? Doch wer Ulli und Inge kennt weiss sie haben einen eisernen Willen und werden alles versuchen den Schnitt untenzuhalten. Inge bittet Sonja um „technische Anweisungen“ und das Boot nicht zu stören („don’t move“). In Harlingen herrscht gute Stimmung. Jemand verteilt Wassereis, ein wartender Ruderer springt ins Wasser um eine über Bord gegangene SOS-Box zu retten, und Freizeitboote tuckern gemütlich über den Kanal. Es ist Samstag, die Sonne scheint und die Friesen geniessen das Leben am und auf dem Wasser. Das Nachtteam ist nach kurzen Schlaf zum Anfeuern gekommen und wir liegen gemütlich im Schatten während auf dem Wasser Inge und Ulli hart kämpfen. Wenigstens kann Ulli ohne Kissen wieder sitzen. Nach einer wahren Ewigkeit ist es vollbracht, beide sind vollkommen KO. Als nächstes gehen Emma und ich auf unsere letzten 12km. Eine kleine Unaufmerksamkeit von Sonja und wir sind im falschen Kanal. Nichts wie kleine Wende und die 200m schnell zurück. Erst müssen wir uns zwischen Fischern und Freizeitbooten durchschlängeln, dann geht‘s 6km schnurgerade und, bis auf 3 Kamele, monoton durch‘s Industriegebiet. Da freut man sich über die Brücken und Kurven in Franeker. Der Endspurt ist länger als geplant – egal, es ist bald vorbei und als Belohnung gibt’s Bier und Pommes. Auch Sonja, Ulli und Simone haben nun ihre letzten 12km und es wird gepushed was noch geht. Als sie unter einer Brücke durchfahren fragt ein Mädchen seine Mami: “Wieso rudern die zwei mit ihrer Grossmutter?“ Unbeeindruckt von der Fehleinschätzung wird die Schlagzahl hoch gehalten, die Glatt soll in Schwung bleiben. Obwohl Inge sichtlich fertig ist lehnt sie Rachel’s Vorschlag ihre letzte Strecke zu übernehmen dankend ab – Champions geben nie auf und sie hat Sabine als grosse Unterstützung. Ab geht‘s auf die allerletzten 14km und wir alle sind im Gedanken dabei. Nach 10 Etappen und kaum Schlaf bleibt Sonja, so wie man sie aus dem Boot gehievt hat, fix und fertig sitzen. Irgendwie mögen ihre Beine nicht mehr, auch wenn sie jetzt endlich auf die Toilette gehen könnte. Wir fahren zum Ziel beim Ruderclub Leeuwarden und warten im Schatten. Dank GPS sehen wir wie Sabine und Inge gut vorwärts kommen und am Überholen sind. Sie harmonieren und Rachel hält sie mit Zwischenziele motiviert. Auf einmal zählt Rachel die letzten 30 Schläge an und Inge denkt sich nur „Ich mache keinen einzigen Schlag mehr! Wehe wenn sie nicht recht hat!“ Nach 20 Schlägen, sagte Rachel plötzlich „noch 6 Schläge“ und beginnt rückwärts zu zählen. Und oh wie schön, es waren tatsächlich nur noch 6 Schläge!!! Die ganze Last fällt von Inge und Sabine. ES IST VOLLBRACHT! Wir jubeln am Ufer und wollen ihnen um den Hals fallen. Unglaublich. Was für ein Erlebnis. All die harte Arbeit, die Schmerzen, die Ungewissheit ob man es schafft. Alles überstanden miteinander! Jede und jeder allzeit hilfsbereit. Mit hervorragender Organisation von Marjan, durchgehender Unterstützung von Kassiem und Beat, und zwei Steuerfrauen die uns sicher, motiviert und präzise in 21:18.32 Stunden ans Ziel brachten. Wir sind einfach glücklich, tauschen Erfahrungen aus, essen zusammen. Inge’s Fitnesstracker ist bei über 1000% Tagessoll. Auf einmal kommt die Blaskapelle und spielt uns ein mitreissendes (Ruder-)Ständchen. Nichts hält uns mehr auf den Stühlen, wir machen mit, luft-rudern, hüpfen und tanzen als wäre nichts gewesen. Erinnerungen für die Ewigkeit. Und ach ja, wir waren etwa 1 Stunde schneller als bei bisherigen Teilnahmen. Christine Tanner Comments are closed.
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