Was dem Schwimmer sein Becken, ist den Schweizer Ruderern der Sarnersee. Fünf Kilometer lang, und es geht rauf und runter, rauf und runter. 8500 Kilometer rudert Jeannine Gmelin pro Jahr, alle fünf Jahre einmal um die Welt. Und immer sitzt sie allein im Boot. Die 26-Jährige absolviert ihre Einheiten jeweils zusammen mit Mannschaftsbooten, was unangenehme Konsequenzen hat. Denn alle rudern gleich viele Kilometer, aber die Skifferin ist langsamer und arbeitet deshalb länger. Eine Stunde mehr pro Tag. Das spart sie bei den Pausen ein. Zu jeder Seeüberquerung startet sie drei Minuten früher als die Teams. «Es ist manchmal wirklich hart, wenn ich schon wieder los muss und die anderen noch Pause haben», sagt sie. «Aber dann denke ich: Das macht dich schneller.» Rudern ist irgendetwas zwischen Ausdauer- und Kraftsportart, wobei das Krafttraining zum grössten Teil auf dem Boot erfolgt. Die Umfänge sind deshalb ähnlich wie bei Marathonläufern: 200 bis 250 Kilometer pro Woche. Miles make champions, sagten die Engländer schon vor 100 Jahren. Rudern ist aber auch eine Frage der mentalen Härte. Nach einer Minute haben die Boote im Rennen das maximale Tempo erreicht. «Dann geht es nur noch darum, wer am längsten durchhält.» Die Muskeln brennen, der Kopf bleibt hart. Das Lactat, das dabei in den Muskeln anfällt, ist ein Gradmesser für das Leiden. Ruderer erreichen Werte um 20 Millimol, ganz ähnlich wie die 800-m-Läufer. Normale Menschen würden ins Koma fallen, Ruderer aber kämpfen weiter. Es ist der Kopf, der in solchen Situationen den Körper antreibt. «Man muss ihn trainieren wie einen Muskel», sagt Gmelin. Das passiert einerseits auf dem Wasser, wo immer wieder Grenzsituationen erreicht werden. Zum Beispiel wenn der Trainer vorgibt: zweimal über den See, je fünf Kilometer, maximale Leistung! Aber auch diverse Formen des Mentaltrainings gehören zum Alltag der Skifferin, zum Beispiel Yoga. Wer fünf Stunden täglich trainiert, muss auch mal die Seele baumeln lassen. NZZaS, 24.7.2016 (reg.)
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